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Wenn man in einer Situation unzufrieden oder sogar unglücklich ist, will man sich dieser Situation entziehen. Doch bei einem Job ist das nicht so einfach, viel zu viel hängt daran. Wann es trotzdem sinnvoll ist, den Beruf zu verlassen, auch ohne Plan B in der Hinterhand.
Die Tür geht auf, man sieht den Chef oder die Kollegen und will eigentlich sofort wieder umdrehen. Panik, kalter Schweiß und Magenkrämpfe, wenn man auch nur das Wort ‚Arbeit‘ hört. Also was tun?
Etwas verändern! Aber was? Elke Wagenpfeil, Psychologin und Karrierecoach, rät ihren Klientinnen und Klienten dazu, zuerst das Problem zu identifizieren. Sind es die Aufgaben, der Chef oder doch die Kollegen? Man kann schließlich erst etwas ändern, wenn man weiß, woher die Unzufriedenheit kommt.
Wagenpfeil betont, dass es nicht immer am Beruf an sich liegt, sondern an den eigenen Werten, die nicht gelebt werden können. Ob es Chaos gegen Ordnung oder Innovation gegen Eingefahrenheit ist, irgendwann wird der Leidensdruck zu groß.
Doch das ist nur ein Bruchteil der Probleme, die auftreten können. Der „Engagement Index 2018“ des Unternehmens Gallup gibt an, dass rund ein Siebtel der Arbeitnehmenden keine Bindung zu ihrem Unternehmen haben und dass innerlich die Kündigung schon geschrieben, gedruckt und abgegeben ist. Dass das direkt einen Jobwechsel rechtfertigt, ist fraglich.
Die Psychologin legt in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten großen Wert darauf, zu erfahren, was ihnen wirklich Freude gemacht hat. Diese Identifikation der mit Freude besetzten Dinge ist genauso wichtig für die Lösung des Problems, wie die genaue Identifikation des Problems.
Doch es müssen, auch bei großen Problemen, nicht immer gleich die großen Veränderungen sein. Ein Wechsel des Unternehmens oder eine Verkürzung der Arbeitszeit können genauso den gewünschten Effekt bringen.
Denn nicht immer stammen die Probleme aus dem Unternehmen. Manchmal ist man auch selbst das Problem. Übermäßiger Druck, den man sich selber macht, wird nicht einfach so verschwinden, wenn man das Unternehmen oder die Branche wechselt. Dabei ist es vor allem wichtig, an sich selbst zu arbeiten, sonst schleppt man diese Probleme in jedem Job mit sich herum.
Veränderung ist schwierig und ein völliger Wechsel des Berufs dementsprechend auch. Diese Maßnahme ist genauso anstrengend wie selten und erst sinnvoll, wenn das Problem wirklich in den Inhalten des eigenen Berufs liegt und keine äußeren Einflüsse uns das Berufsleben zur Hölle machen.
Doch wann dieser Berufswechsel erfolgen sollte, muss jeder und jede für sich selbst entscheiden. Sanaz Lodin, Leiterin eines Projektteams der Agentur für Arbeit in Düsseldorf, meint, dass es dafür keine allgemeingültige Skala gibt.
Auch ist schwer zu bestimmen, wie viele Menschen in Deutschland ihren Beruf wechseln. Die Zahlen, die vorhanden sind, suggerieren, dass vor allem Altenpflegerinnen und Altenpfleger die Neuorientierung angehen.
Eine weitere Schwierigkeit im Wechselprozess stellt die typisch deutsche Orientierung an Abschlüssen dar. Das Ausbildungssystem ist so durchorganisiert, dass jemand der quereinsteigen möchte, wieder ganz unten anfangen muss. Das machen nur wenige Menschen freiwillig. Auch das zu Beginn niedrigere Einkommen schreckt Viele ab.
Wohl auch deswegen wechseln die Wenigsten radikal. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stellte fest, dass diejenigen, die wechseln, oft in ähnliche Bereiche gehen.
Doch nicht nur die eigene Zukunft ändert sich mit dem Berufswechsel. Die Familie muss einbezogen werden, die gesamten Lebensumstände. Karrierecoach Wagenpfeil sagt, dass die Motivation nicht sein sollte, weg von der Stelle zu kommen, sondern sich auf die neue Stelle zu konzentrieren. Dafür muss der neue Beruf jedoch sehr gut eingeschätzt werden können.
Den neuen Beruf kennenlernen, bevor man ihn ausübt, ist das A und O vor einem großen Wechsel. Desillusionierung sollte das Ziel sein. Eine typische Woche kennenlernen, die Aufgabenverteilung, die Charaktere der Branche, in jeder Funktion.
Netzwerke wie Xing bieten die Möglichkeit, Branchenverantwortliche anzuschreiben und um ein kurzes Gespräch zu bitten. Sicherlich werden nicht alle antworten, aber die die antworten, werden meist auch zu einem Gespräch bereit sein, sagt die Karriereexpertin.
Nach der Informationssuche geht es an die Auswertung. Was sind die positiven Aspekte des Jobs, was die negativen? Und viel wichtiger: Wiegen die positiven Aspekte die negativen Aspekte auf? Welche Erwartungen wurden vielleicht in der Informationssuche enttäuscht?
Mittlerweile wird oft gefordert und erwartet, dass die Mitarbeitenden sich mit dem Job identifizieren, darin aufgehen oder sogar dafür brennen. Das tut und möchte einfach nicht jeder.
Der Beruf ist nicht für alle Menschen auch die Berufung. Viele möchten lieber Zeit mit ihrer Familie verbringen oder das Hobby der Wahl ausüben oder sich engagieren. „Wichtig ist es, seine eigenen Werte zu kennen und dazu zu stehen“, betont Elke Wagenpfeil. Auch wenn der Beruf keine Berufung ist, sollten die eigenen Werte nicht herausgefordert werden. Leidenschaften kann man für ein paar Stunden am Tag hinten anstellen, Werte und Moral nicht.
Veröffentlicht
23.01.2023