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Vor zehn Jahren brüsteten sich Firmeninhaber öffentlich mit ihrer Null-Fehlertoleranz. Sie wollten dem Kunden signalisieren, dass ihr Produkt oder Service perfekt sei – eben „Made in Germany“. Traditionell sind Misserfolg und Versagen bei uns negativ besetzt. Es gilt als peinlich Fehler zu machen. Doch inzwischen lernen Unternehmen aus dem Silicon Valley, dass sie agil, digital und innovativ sein müssen, um im Christiane Brandes-Visbeck / ©Rieka AnscheitZeitalter der Digitalen Revolution zu bestehen. Daher erleben jetzt auch bei uns, dass alte Hierarchien aufgebrochen werden: Man duzt sich und fordert Mitarbeiter dazu auf, flexibel zu werden, digitale Tools zu lernen, um mobil und virtuell gemeinsam an Projekten zu arbeiten. In diese neue Arbeitswelt gehört auch eine positive Fehlerkultur. Christiane Brandes-Visbeck erkennt eine positive Fehlerkultur an folgenden drei Merkmalen:
In einer positiven Fehlerkultur wird Scheitern wird als Chance begriffen. Fehler und Irrtümer sind erlaubt, weil wir in einer ungewissen Zeit leben, der sogenannten Digitalen Revolution. In einer Welt, in der sich getrieben durch die Digitalisierung alles verändert, gehören „Trial and Error“ dazu. Wenn Roboter Kollegen werden und Apps und Algorithmen unseren digitalen Alltag steuern, müssen wir auch in der Arbeitswelt neue Wege gehen und neue Felder erschließen. „Versuch macht kluch“, sagt schon der Volksmund. Das Risiko, nicht alles richtig zu machen, bestimmt heute den Unternehmensalltag. Fehler können nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden. Für Neurobiologen sind Fehler Abweichungen von einer Norm, die Evolution ermöglichen. Wer so denkt, kann seinen Kollegen und Mitarbeitern besser Vertrauen und der Zukunft gelassener entgegensehen.
Klassische Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter, damit sie ihre Arbeit erledigen und produktiv sind. In der modernen Management-Forschung wird dafür der Begriff „exploit“, deutsch: erschließen, nutzen, aber auch ausnutzen. Innovative Unternehmen erwarten von ihren Mitarbeitern, dass sie zudem innovativ sind. Hierfür steht der Begriff „explore“, dt. erforschen, untersuchen, ausprobieren. Digitalunternehmen wie Google erwarten, dass ihre Mitarbeiter 20 Prozent ihrer Arbeitszeit damit verbringen, Neues zu denken und zu testen. Klar, dass da nicht jeder Gedanke erfolgreich umgesetzt werden kann oder im Alltag funktioniert. Wer in der Digitalen Revolution überleben will, muss sich dem Pioniergeist der ständigen Veränderung stellen und das Risiko der Irr- und Umwege einkalkulieren. Um diese systemimmanente Scheitern auszuhalten, benötigen Unternehmen eine positive Fehlerkultur.
Agilität ist das Stichwort, um mit diesen Veränderungen Schritt zu halten – weg von Perfektion, hin zu "always in beta, always testing" - das übrigens bei Digital Natives heute ganz gewöhnlich ist. Das ist ein neues Verständnis von Struktur und Organisation. Damit können wir auch Führung im digitalen Zeitalter als konstantes Beta-Testing interpretieren. Der Chef als Coach und Mentor, der den fachlichen oder Projekt-Lead auch gern einem geeigneten Mitarbeiter überlässt.
Christiane Brandes-Visbeck, Impulsgeberin und Autorin "Netzwerk schlägt Hierarchie", Inhaberin Ahoi ConsultingIn einer positiven Fehlerkultur haben Menschen keine Angst davor, Fehler zu machen solange diese früh erkannt und korrigiert werden können. Wenn Ihre Kollegen oder Chefs sie sachlich auf den Fehler aufmerksam machen, wird nicht der Schuldige gesucht, sondern eine Lösung gefunden. Genau hier liegt die Chance der Innovation: im gemeinsamen Arbeiten, Ausprobieren und Lernen. Einen Fehler aufzudecken gilt nicht als persönliche Kritik, sondern als ein wichtiger Hinweis. Um das Team vor weiteren Irrtümern zu bewahren und das Projekt mit einem gemeinsamen Lösungskonzept wieder auf Spur zu bringen. Der amerikanische Physiknobelpreisträger Carl Wieman beispielweise feiert aktuell große Erfolge mit einer Ausbildungsmethode, die auf Aktives Lernen setzt. Hochschullehrer Wieman ist überzeugt davon, dass Fehler wertvoll sind – je abwegiger, desto besser. In seinen Seminaren muss jeder Student neue Aufgaben bearbeiten. Die Lösungen werden dann gemeinsam diskutiert und korrigiert. Selbst Unsinn feiert er noch als Erfolg. Dieser Umgang mit Fehlern lässt sich auch auf Unternehmen übertragen. In einer positiven Fehlerkultur können sich Mitarbeiter zu Fehlern bekennen, besser werden und sich bei denjenigen bedanken, die sie darauf aufmerksam gemacht haben.
Um das Umdenken als Mitarbeiter in seinem Unternehmen zu forcieren, muss man mutig sein. Dieses gelingt durch das Offenlegen (nicht vertuschen!) von Fehlern. So können alle Beteiligen daraus lernen und ein Projekt gemeinsam vorantreiben. Wer dazu lernt, die eigenen Skills und alltägliche Arbeitsabläufe in Frage stellt, kann in neue Richtungen denken. Nur wer Neues zu testet und damit auch Fehler riskiert, macht Innovationen möglich. Und so kann Scheitern zur Innovation führen. Deshalb: Aufstehen. Krone richten. Weitermachen.
Doch auch in einer positiven Fehlerkultur ist nicht jeder Fehler willkommen. Fehler im Sinne von Irrtum oder Experimenten mit Neuem werden positiv wertet. Fehler, aus Unaufmerksamkeit oder Nachlässigkeit gemacht werden, eher nicht. Auf sorglose Fehlermacher à la „Nobody is perfect“ reagieren auch moderne Führungskräfte und Kollegen empfindlich. Fehler sind dazu da, dass man aus ihnen lernt – und sie möglichst nicht wiederholt.
Über die Autorin: Die Kommunikationswissenschaftlerin Christiane Brandes-Visbeck arbeitet mit ihrer eigenen Agentur Ahoi Consulting als Trainerin & Coach, Autorin & Speakerin zu Kommunikation und Leadership im digitalen Zeitalter. Sie ist Lehrbeauftragte an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Dozentin an der Akademie für Publizistik und Trainerin an der Akademie für Führungskräfte in der Wirtschaft. Im September 2017 veröffentlichte sie als Co-Autorin ihr erstes Fachbuch „Netzwerk schlägt Hierarchie: Neue Führung mit Digital Leadership“.
Veröffentlicht
20.02.2018