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Zu klug, zu erfahren, zu "seniorig" - viele Bewerber scheitern, weil man sie für "überqualifiziert" für die zu besetzende Stelle hält. Das ist mitunter ungerecht - aber längst nicht immer, weiß unser Experte Bernd Slaghuis. Und gibt Tipps, wie man aus dieser Lage herauskommt.
„Der Rat der Weisen“ von Bewerbung.com ist eine Gruppe hochkarätiger Personal- und Karriereexperten, die regelmäßig Tipps rund um Bewerbung, Gehalt und Karriere geben. In dieser Folge beantwortet unser Weiser Bernd Slaghuis* die häufig gestellte Frage:
Bernd Slaghuis: "Wer sagt denn sowas? – Ja, mancher Bewerber macht die Erfahrung, dass er eine Absage erhält und vermutet oder erhält sogar das Feedback, dass sein potenzieller Arbeitgeber sein Fachwissen, die Berufserfahrung oder ihn persönlich als zu hoch qualifiziert für eine bestimmte Position hält. Aus der Sicht des Unternehmens ist es unerheblich, ob ein Kandidat weniger Kompetenzen als für die Stelle erwartet oder weit mehr hierfür aufweist. Es passt nicht. Oder würden Sie einen Ferrari mit 600 PS fahren, selbst wenn Sie ihn zum Preis eines VW Polo bekämen, sich aber eigentlich einen Ford Focus kaufen möchten? Wenn Bewerber als überqualifiziert bewertet werden, kann dies verschiedene Ursachen haben. Oft liegt es an ihnen selbst, denn ich erlebe viele Jobsuchende, die mit der Dauer ihrer Suche und damit Anstieg der Frustration zu immer niedrigeren Stellen greifen und gleichzeitig ihre Bewerbungen aufbauschen. Es ist ein Irrglaube, endlich die Chance auf irgendeinen Job zu erhöhen, indem Sie Ihre Anforderungen immer weiter nach unten schrauben. Ganz im Gegenteil: Die Lücke zwischen dem, was Sie zu bieten haben und dem, was die Position erfordert, wird größer. Es passt umso mehr nicht. Als überqualifiziert werden schnell auch solche Jobwechsler abgestempelt, die nach vielen Jahren im Beruf einen Schritt auf der Karriereleiter zurückgehen möchten (Downshifting) oder sich bewusst entscheiden, Führung abzugeben und wieder stärker fachlich im Team zu arbeiten. So richtig diese Entscheidung für den Einzelnen sein mag, aus Sicht eines neuen Arbeitgebers wirft dieser Schritt vor allem Fragezeichen auf. Die Sorge, der Neue könne sich langweilen und schnell wieder wechseln wollen. Wichtig für Sie als Bewerber ist es, schon mit dem Anschreiben Klarheit über Ihre Motivation für diesen Karriereschritt zu schaffen.
Vermeintlich überqualifiziert sind häufig ebenfalls Bewerber, die aufgrund ihrer Ausbildung oder Berufserfahrung nicht in eine bereits bestehende Gruppe oder in ein Team passen. Kaum ein Unternehmen wird beispielsweise einen promovierten 35-jährigen BWLer in ein Trainee-Programm aufnehmen, das ansonsten nur aus 23-jährigen Bachelor-Absolventen besteht. Auch wenn es für den Berufseinsteiger nach seiner Promotion ein guter Schritt sein kann, passt es für die Zusammensetzung der Gruppe nicht. Ich finde das nachvollziehbar aus Arbeitgebersicht, doch mit tatsächlicher Überqualifizierung hat auch dies nichts zu tun. Und dann gibt es sicherlich auch solche Recruiter, denen überqualifizierte Bewerber Angst machen. Die den Streber mit dem 1,0-Abi vorschnell in falsche Schubladen stecken oder Personaler, die selbst den Hut ziehen vor den überragenden Erfolgen eines langjährig Berufserfahrenen. Ebenso der gigantisch bunte Blumenstrauß an Fähigkeiten und Talenten eines scheinbar allwissenden Generalisten kann einen Arbeitgeber überfordern. Was zu viel ist, ist einfach zu viel. Wer Sie als überqualifiziert beurteilt, hat Sie nicht verdient – im wahrsten Sinne des Wortes. Werden Sie sich als Bewerber bewusst, welche Fähigkeiten und Stärken Sie ausmachen und welche Arbeitgeber diese für welche Positionen wertschätzen können. Machen Sie aus angeblicher Überqualifikation keinen persönlichen Makel, sondern schauen Sie noch genauer hin, wo es wirklich passt. Vielleicht sprechen Sie auch Ihre Erfahrungen mit dem „Überqualifiziert!“-Stempel auf Ihrer Stirn beim nächsten Bewerbungsgespräch ganz offen an und klären die Fragen im Dialog, die sich ein neuer Arbeitgeber womöglich hierzu stellt." *Der Weise: Karriere- und Business-Coach Dr. Bernd Slaghuis (www.bernd-slaghuis.de) ist Experte für berufliche Neuorientierung, Bewerbung und gesunde Führung. Als Vorstandsassistent und ehemalige Führungskraft kommt er aus der Praxis. Der Systemische Coach und promovierte Ökonom steht für ein neues Karriere-Verständnis. Seit 2011 arbeitet er in seinem Kölner Büro mit Angestellten und Führungskräften an ihren nächsten Schritten im Beruf und mit Bewerbern an ihrer individuellen Bewerbungsstrategie. Sein Blog „Perspektivwechsel“ zählt zu einem der meistgelesenen Karriere-Blogs in Deutschland. Er ist XING Branchen-Insider, Kolumnist und Gastautor für diverse Karriere- und Management-Magazine. Slaghuis hält deutschlandweit Vorträge, moderiert Workshops und gibt Seminare.
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Veröffentlicht
28.11.2017