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Eine Branche in der Krise: Immer mehr junge Handwerker wandern in die Industrie ab. Der simple Grund dafür sind höhere Gehälter. Doch der Wechsel hat auch Nachteile - die Karriereperspektive etwa.
Das Gehalt war Eric Jacob am Anfang seines Berufslebens ziemlich egal. "Ich fand es interessant, ein Handwerk zu lernen und etwas Künstlerisches zu machen", sagt der 28-Jährige. Doch schon während seiner Ausbildung an der Berufsfachschule Glas im thüringischen Lauscha stellte er fest, dass die Arbeit als selbstständiger Glasbläser eine ziemlich brotlose Kunst ist. Also sattelte Jacob eine Ausbildung zum Apparatebauer drauf - in der Hoffnung, anschließend Kühlapparaturen und ähnliches Glaszubehör für Labore bauen und reparieren zu können. "Das ist eine ganz coole Arbeit, aber es wird selten etwas frei." Wer so einen Job einmal hat, behält ihn meist lange. Jacobs Plan hat aber trotzdem funktioniert, wenn auch auf Umwegen: Mittlerweile arbeitet der gebürtige Berliner als Produktionsbetreuer bei dem Spezialglas-Unternehmen Microquartz auf dem Siemens-Gelände in München. Die Firma stellt kilometerlange, hauchfeine Röhrchen aus Quarzglas für Gaschromatografen her. Jacobs jetziger Job sei so speziell, "dass man ihn nirgends lernen kann und dass es eine gewisse Unschärfe im Anforderungsprofil gab", sagt sein Chef Daniel Schichl. Wichtig sei ihm gewesen, jemanden zu finden, der sich mit dem Werkstoff Glas bestens auskennt. "Ich habe gezielt auf die Industrie hingearbeitet", sagt Jacob. "Bei der Bezahlung wird das Handwerk nie mithalten können", sagt Bernd Stockburger von der Handwerkskammer Region Stuttgart. "Wenn Handwerker in die Industrie abwandern, dann in aller Regel wegen der besseren Bezahlung." Wanderungsbewegungen habe es zwar schon immer gegeben, die gute konjunkturelle Lage habe das Phänomen aber verstärkt.
Positiv gesehen könne man es als Kompliment und sichtbares Zeichen für die hohen Ausbildungsstandards im Handwerk werten, wenn Handwerksgesellen auch anderswo gefragte Fachkräfte seien, erläutert Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). "Allerdings liegt es gerade in Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels nicht im Interesse eines Betriebes, nach einer Ausbildung wertvolle Fachkräfte zu verlieren." Für Arbeitnehmer dagegen ist die Wechselmöglichkeit eine gute Nachricht. Denn nicht nur in der Region Stuttgart sind vor allem Feinwerkmechaniker, Elektriker, Metallbauer, Kfz-Mechatroniker oder Anlagenbauer aus dem Handwerk gefragte Industrie-Arbeitskräfte. Laut einer Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen von 2016 wird das Thema seit etwas mehr als zehn Jahren immer wichtiger, vor allem in Elektro- und Metallberufen. Kein Wunder angesichts dieser Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft im Handwerk verdient demnach derzeit durchschnittlich 2782 Euro, während ein Facharbeiter in einem nicht-handwerklichen Betrieb des produzierenden Gewerbes durchschnittlich 3794 Euro bekommt. Lässt sich der Trend noch umkehren? „Jeder Handwerksbetrieb muss sich aufhübschen“, sagt Stockburger. Schließlich habe die Arbeit dort auch ihre Vorteile: Punkten könnten die Betriebe mit familiärer Arbeitsatmosphäre, mit besseren Arbeitszeiten als in der Industrie und der Tatsache, dass die Mitarbeiter einen erkennbaren Anteil am Firmenerfolg haben. „Sie sehen am Ende des Tages, was sie geleistet haben. Sie sind kein Rädchen im großen Getriebe“, sagt der Ausbildungsexperte. Text: Nina C. Zimmermann, dpa
Service-Info: Mehr Geld, attraktive Extraleistungen, schnelle Karrieremöglichkeiten: Wie Sie vom Fachkräftemangel, auch in handwerklich ausgerichteten Industriebranchen, profitieren können, erfahren Sie in diesem Artikel zum Thema.
Veröffentlicht
21.05.2018