© Henri-Nannen-Schule
Qualität kommt von Qual: Die Aufnahmeprüfung der Henri-Nannen-Schule für Journalismus gilt als härtester Test der Medienbranche. Auch unsere Autorin Stefanie Pichlmair erlebte eine emotionale Achterbahnfahrt.
Henri-Nannen-Schülerin Stefanie Pichlmair: "Ich begrub Träume, die ich noch nicht einmal richtig geträumt hatte"Eigentlich sollte ich erst im Mai von der Nannenschule hören, so hatten sie es beim Auswahlwochenende gesagt. Deshalb wunderte ich mich über die Mail im Posteingang, es war ja noch April. Ich öffnete sie. „Liebe Frau Pichlmair, Sie haben es geschafft…“. Und schloss sie wieder. Googelte den Absender. Ich dachte an einen üblen Scherz, an Spam, an alles. Aber nicht an eine Zusage. Denn als ich einige Monate zuvor überlegt hatte, mich an der Nannenschule zu bewerben, und die Schule und deren Absolventen googelte, war klar: An die Nannenschule schaffen es nur Überflieger. Absolventen von Pariser Eliteunis, 20-jährige Buchautoren. Interessante Menschen mit interessanten Hobbys, Rugbyspielerinnen oder so. Ich war nicht sonderlich interessant, schon gar kein Überflieger. Ich hatte ein okayes Abi, ein okayes Germanistikstudium und eine okaye Mitgliedschaft im Fitnessstudio ... Nicht so okay war:
Da saß ich also vor meinem Laptop, an einem Tag im Januar 2016, und begrub Träume, die ich noch nicht einmal richtig geträumt hatte. Dazu schaute ich Katzenvideos. Ich sah einer Katze zu, wie sie auf einer Kühlerhaube saß und den Scheibenwischer ansprang, jedes Mal, wenn er wischte. Ich sah zwei kleinen Katzen zu, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen und einer großen dicken, die zu fett war für die Katzenklappe und heulend davor saß. Genau so fühlte ich mich. Die verhinderte Journalistin vor der Katzenklappe. Diese Katzen können überhaupt nichts. Genau wie ich, dachte ich mir. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir: Sie versuchten es trotzdem. Also meldete ich mich für das Bewerbungsverfahren an. Zwei Texte sollte ich nun schreiben, eine Reportage zum Thema „Mutprobe“ und einen Kommentar. Für beides hatte ich drei Wochen Zeit. Die erste Woche verbrachte ich damit, mir Mut zuzureden. Dabei schaute ich Katzenvideos. Über die dicke Katze vor der Klappe konnte ich mittlerweile lachen. In der zweiten Woche recherchierte ich. Gerne hätte ich einen Assistenzarzt begleitet, der zum ersten Mal ein Organ transplantiert. Ich habe keinen Assistenzarzt gefunden, der in diesem Zeitraum - nämlich innerhalb der nächsten drei Tage, mehr Zeit hatte ich ja nicht - irgendwo in Deutschland ein Organ entnommen hätte. In Frankfurt hätte ich immerhin einen Studenten in eine Anatomievorlesung begleiten können. Gegen Ende der zweiten Woche hatte ich noch immer keine Geschichte. Also ging ich zum Schlachter. Er köpfte ein Rind und ich schrieb darüber. Drei Tage vor Fristende schickte ich meine Unterlagen ab. Wenn alles gut lief, würde ich zur Aufnahmeprüfung der Henri-Nannen-Schule in Hamburg eingeladen, dort müsste ich eine weitere Reportage und eine Nachrichtenübung schreiben, zusätzlich etwa 20 Personen aus dem öffentlichen Leben auf Bildern erkennen und benennen müssen (Außenminister!), einen Wissenstest bestehen mit Fragen wie: Welche Metropole wurde 1099 eingenommen? Und von wem? Außerdem müsste ich mich einer zwölfköpfigen Auswahlkommission stellen. Doch bis dahin musste ich alles aufholen, was ich bislang verpasst hatte: wie der Außenminister heißt zum Beispiel. Ich habe alle Tagesschauen von 2015 und 2016 runtergeladen und hintereinander weg angeschaut, wichtiges auf großen Plakaten notiert und sie an die Wand gehängt. Mein Zimmer sah damals aus wie der Schuppen von John Nash in „A Beautiful Mind“. Las ich von Personen aus dem öffentlichen Leben, die ich nicht zuordnen konnte, habe ich ein Foto der Person ausgedruckt und nach Kategorien geordnet in ein Fotoalbum geklebt. Die Altemänneralben (Außenminister! Aber auch ehemalige FIFA-Präsidenten, DSDS-Gewinner und tote Kanzler) und die Jungefrauenalben (Beautybloggerinnen, Tagesschausprecherinnen und Tennisspielerinnen) hatten DIN A5 Format, praktisch für Bahnfahrten.
Wissenstest an der Nannenschule: Welche Metropole wurde 1099 eingenommen? (©Foto: Henri-Nannen-Schule) Einmal saß mir eine alte Dame gegenüber. Die ganze Fahrt über redeten wir kein Wort. Sie schaute aus dem Fenster und ich blätterte in meinem Fotoalbum mit Porträtaufnahmen alter Männer. Kurz vor dem Münchner Hauptbahnhof fragte sie mich, ob ich mich schon für einen Mann entschieden hätte. Ich fragte nach, was genau sie meinte. Die Fotos hätte ich doch bestimmt über eine Kontaktanzeige bekommen, sagte sie. Und riet mir, eher einen etwas jüngeren Mann zu heiraten. Ich sei doch zu jung für die alle, sagte sie und tippte dabei auf ein Foto von Rainer Langhans. Ich habe mir außerdem das Taschenhirn besorgt, ein Buch, das nur aus Listen besteht. James-Bond-Darsteller, Weinreben, längste Flüsse Europas. Die Listen gibt es auch online, einfach mal schauen unter taschenhirn.de. Ähnliche solcher Allgemeinbildungs-bücher gibt es auch von Duden oder Brockhaus. Die Tage während meiner Vorbereitungszeit waren lang. Aber anders als in der Schule machte es mir nichts aus, stundenlang über Listen zu sitzen - ich wusste ja genau, wofür ich es tat. Lernen, lesen, Bilder anschauen. An einem dieser langen Tage kam dann eine Email aus Hamburg: Einladung zur Finalrunde. Yeah! 66 Finalisten würden wir sein, 16 von uns bekommen anschließend einen Platz. Los ging der erste Testtag um 8 Uhr am Gruner & Jahr -Gebäude direkt am Hafen, Ausweiskontrolle inklusive. Auf jedem Einzeltisch lag ein Namenskärtchen, ein Notizblock, ein Stift und der Schulleiter Andreas Wolfers hielt eine Rede, dann wurde der Wissenstest ausgeteilt. Das Ganze fühlte sich ein bisschen an wie Abitur. Für die Reportage fuhren wir anschließend zum Messegelände, dort fand der Hamburg-Marathon statt und wir sollten eine Geschichte von der Zielgeraden einfangen. Ich begleitete eine junge Mutter mit ihrem einjährigen Sohn. Dessen Vater lief beim Marathon mit. Das hat der Kleine allerdings nicht verstanden, er weinte, weil sein Papa nicht anhielt, um ihn hochzuheben. Also ging ich mit der Mutter und dem verrotzten Kleinen zum Treffpunkt mit Papa. Das war eine sehr leise, absolut banale Geschichte. Ein Beweis dafür, dass es nicht das investigative Glanzstück sein muss. Bildertest und Nachrichtenübung liefen danach noch so im Hintergrund ab, mich konnte nicht mehr viel schocken.
Auswahlgespräch an der Henri-Nannen-Schule: Bei der Lücke im Lebenslauf erwischt. (©Foto: Henri-Nannen-Schule) Nicht so cool war ich am nächsten Tag beim Auswahlgespräch. Es fand in der Nannenschule statt. Schon das Treppenhaus roch klug und nach Journalistenpreisen. Ich war nervös und als ich zusammen mit zwei weiteren Bewerbern vor der Jury saß, war mein einziger Gedanke: Wann hören meine Hände auf zu zittern? In der Jury saßen der Schulleiter Andreas Wolfers, Cordt Schnibben vom Spiegel , Stefan Plöchinger von SZ Online und andere Journalisten, darunter auch ehemalige Nannenschüler. Eine halbe Stunde saßen wir vor der Jury und die reichte Stefan Plöchinger, um eine Lücke in meinem Lebenslauf zu entdecken. „Wollen Sie uns etwas sagen, Frau Pichlmair?“, fragt er. Oh Gott. Was hat er entdeckt? Peinliche Fotos? Hat er meine Cloud gehackt? Hat er das mit dem nicht bestandenen Cambridge-Test rausgefunden? „Was haben Sie in dem Jahr zwischen Abi und Studium so getrieben?“, fragt er nochmal nach. „Ich war in Vietnam“, sagte ich. So stand das auch in meinem Lebenslauf. Und es stimmte. „Ein Jahr lang?“ fragte er. „Nein, 3 Monate,“ sagte ich. „Und den Rest des Jahres?“ fragte er. Ich hatte gekellnert, um Geld für die Reise zu verdienen und das nicht unter Arbeitserfahrung in den Lebenslauf geschrieben, weil ich wohl schlampig war und nicht daran gedacht hatte. So habe ich es ihm gesagt. Doch ab dem Moment wusste ich, es war vorbei, ich hatte verloren. Lücke im Lebenslauf? Anfängerfehler. Im Flieger zurück nach München saß ich auf 33 A und heulte. Die Reportage unoriginell, das Auswahlgespräch verkackt. Ich hatte versagt. Also stürzte ich mich in ein Praktikum bei der Süddeutschen Zeitung. Die Kollegen dort hatten mich belächelt, als ich am ersten Tag auf die Frage: Was hast du denn bisher schon geschrieben, antwortete: „Nichts“, und auf die Frage: „Was hast du in Zukunft so vor?“ antwortete: „Ich hab mich an der Nannenschule beworben.“ Doch dann kam dieser heiße Tag im April. „Liebe Frau Pichlmair, Sie haben es geschafft…“. Ich saß gerade in der Redaktion und arbeitete an einem Artikel über ein Hunderennen. Die Nannenschule. Ich war mehr geschockt als glücklich, trank mit den Redakteuren einen Schnaps, packte meine Sachen und ging. Mittlerweile bin ich seit einem Jahr an der Journalistenschule und habe immer häufiger das Gefühl, nicht komplett zufällig dort hin geraten zu sein. Vor meiner Bewerbung an der Nannenschule hatte ich kein Praktikum und keine Ahnung (Außenminister!) und bewarb mich trotzdem. Daher ein Hinweis von Herzen an alle Zögerlichen: Auf die Nannenschule schaffen es auch ganz normale Menschen.
Service-Info: Mehr zum Aufnahmeprüfung der Henri-Nannen-Schule und den Inhalten der Journalistenausbildung dort erfahren Sie unter www.journalistenschule.de Und wenn es mit der Nannenschule wider Erwarten nicht klappen sollte, ist ein Volontariat ein guter, klassischer Weg in den Journalismus. Angebote finden Sie in großen Online-Stellenbörsen, wie zum Beispiel dem XING Stellenmarkt.